Interview mit Katharina Häuser von der Cooperative Mensch eG

katharina haeuser foto claudia mattern

Katharina Häuser arbeitet als pädagogische Mitarbeiterin in der Tagesförderstätte der Cooperative Mensch eG in der Kienhorststraße. Der Träger ist mit einer Tagesförderstätte und einer Wohngemeinschaft im Kiez vertreten. Die arbeitsweltorientierten Angebote der Tagesförderstätte richten sich an Schulabgänger*innen und erwachsene Menschen mit Behinderung. In Nicht-Corona-Zeiten arbeiten um die 62 Menschen mit Behinderung in den verschiedenen Werkstätten, z.B. Holz, Keramik, PC, Stricken.

Katharina, wie ist es euren Beschäftigten seit den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus ergangen?
Das ist ganz unterschiedlich. Ich habe mit Eltern telefoniert, die mir teilweise berichtet haben, dass sie sich aus Angst vor Ansteckung nicht trauen, mit ihren Angehörigen rauszugehen, weil die Kinder zur Risikogruppe gehören. Ich glaube, es gab generell eine große Angst, mit Menschen in Kontakt zu kommen, sich anzustecken und dann zu wissen, bei mir ist der Verlauf vielleicht nicht glimpflich, weil ich z.B. schon ohne Corona Atemprobleme habe.
Natürlich ist dann klar, dass einem irgendwann die Decke auf den Kopf fällt. Aber das ist sehr unterschiedlich. Wir haben auch mitbekommen, dass es im häuslichen Bereich relativ gut gelaufen ist. Vielleicht hat eine Art Entspannung eingesetzt, eine Art Urlaubsfeeling oder endloses Wochenende. Aber natürlich schlägt es auch um. Das hängt von den Möglichkeiten ab, ob es beispielsweise einen Garten gibt.

Für die Eltern und Betreuer*innen war das bestimmt auch eine anstrengende Zeit?
Eine Mutter hat mir berichtet, dass sie nur einmal in der Woche rausgeht, weil sie danach sofort von oben bis unten den Rollstuhl und die Hände desinfiziert. Es ist dann teilweise ein Riesenaufwand, die Person zu schützen, die man so liebhat. Unter den Eltern, mit denen ich telefoniert habe, waren einige sehr vorsichtig. Sie haben gesagt, sie möchten ihre Angehörigen nicht gern irgendwohin schicken, wo sie mit anderen Menschen in Kontakt kommen.

Aber ihr wart die ganze Zeit in Kontakt mit euren Beschäftigten?
Viele Mitarbeiter*innen aus unserer Einrichtung waren in Wohnheimen der Cooperative Mensch eG eingesetzt, um dort vor Ort zu unterstützen. So waren wir immer in Kontakt mit einigen unserer Beschäftigten. Außerdem haben wir telefoniert, kleine Videobotschaften geschickt, Briefe geschrieben oder andere kleine Angebote gemacht. Viele der Menschen mit Behinderung, die bei uns arbeiten, können sich nicht lautsprachlich ausdrücken. Sie kommunizieren auf anderen Wegen, mit Körpersprache, Mimik, Gestik, teilweise auch mit Geräten oder über Symbolkarten. Diese unterschiedlichen Möglichkeiten nennt man Unterstützte Kommunikation. Meine Kollegin, die für die Unterstützte Kommunikation zuständig ist, hat beispielsweise Rezepte in Leichte Sprache übersetzt oder mit Symbolkarten ausgestattet. Diese Rezepte haben wir in die Wohneinrichtungen gegeben, so dass die Betreuer vor Ort Hilfsmittel hatten, um mit den Leuten zusammen zu kochen. In der Anfangszeit haben meine Kollegen eine Nähstube eingerichtet und Mund-Nasen-Bedeckungen für unsere Wohneinrichtungen in ganz Berlin genäht.

Wie funktioniert denn das Telefonieren, wenn keine lautsprachliche Kommunikation möglich ist?
Wir reden zwar miteinander am Telefon, aber sie können nicht erzählen, wie es ihnen direkt geht. Deshalb stellen wir Ja/Nein-Fragen oder lassen uns von den Angehörigen erzählen, wie es geht.

Und haben eure Beschäftigten verstanden, warum es besser ist, zuhause zu bleiben?
Manche ja, manche nein. Sie verstehen nicht, warum sie nicht mehr zu uns zur Arbeit kommen konnten. Es fällt ihnen total schwer, zuhause zu bleiben. Der Ablauf fehlt ihnen, auch die Bezugspersonen fehlen. Bezugspersonen sind bei Menschen mit Behinderung sehr wichtig. Sie haben unter Umständen aufgrund der institutionellen Situation keinen großen Freundeskreis. Wenn dann ein Teilbereich des Lebens auf einmal wegbricht, ist es ein großer Einschnitt für sie.

Das Gebot der sozialen Distanz und des Abstand Haltens war für uns alle neu und erst mal schwierig in der Umsetzung. Wie vermittelt ihr das?
In der Tagesförderstätte gibt es ein Infektionsschutzkonzept, welches die Verhaltensregeln in leichter Sprache darstellt. Einige meiner Kollegen haben auch versucht, das Thema soziale Distanz durch Unterstützte Kommunikation mit Hilfe von Symbolkarten oder in Leichter Sprache verständlich zu machen, beispielsweise die Frage: Warum tragen wir jetzt eine Maske?
Aber insgesamt ist es für uns schwierig, unseren Beschäftigten soziale Distanz begreiflich zu machen. Nähe ist im Alltag mit Menschen mit Behinderung ganz wichtig, weil wir sie körperlich oft unterstützen, z.B. in der Arm- oder Handführung. Wir haben eine Holzwerkstatt, eine Keramikwerkstatt, eine Computerwerkstatt, Stricken und Nähen in unserer Tagesförderstätte. Die Unterstützung dabei ist ganz wichtig.

Für die Betreuer*innen in euren Wohngemeinschaften lässt sich der Abstand vermutlich genauso wenig einhalten?
Nein. Weil ja alle unsere Beschäftigten zuhause geblieben sind, sind viele meiner Kolleginnen aus der Tagesförderstätte zur Unterstützung in die unterschiedlichen Wohneinrichtungen der Cooperative Mensch eG gegangen. Wir haben vor Ort geholfen, angefangen vom gemeinsamem Mittagessen kochen bis hin zum Spaziergang. Dabei ist meistens eine 1:1-Betreuung nötig. Wenn jemand mit dem Rollstuhl rausgehen möchte, braucht er jemanden, der ihn schiebt. Die Arbeit lässt sich nicht auf große Distanz machen. Sie ist immer sehr körpernah, auch beim Essen reichen oder bei der Pflege. Dann sind natürlich Handschuhe, Mund-Nasen-Bedeckung, Desinfektion oberste Priorität, auch jetzt in unserer Notbetreuung.

Was heißt Notbetreuung?
Mittlerweile kommen wieder Beschäftigte zu uns, täglich oder einige Tage wöchentlich zu verschiedenen Zeiten. Es sind kleinere Gruppen, so dass wir größeren Abstand einhalten können, soweit es möglich ist. Wir haben ein Infektionsschutzkonzept unter Berücksichtigung der Hygieneauflagen entwickelt. Es gibt Wartebereiche, damit man sich so weit wie möglich aus dem Weg geht und die Gruppen sich nicht vermischen. In den Situationen, wo man eng zusammen ist und unterstützen muss, z.B. bei der Hand- oder Armführung oder beim Essen reichen, tragen alle Handschuhe und Mund-Nasen-Bedeckungen.

In Nicht-Corona-Zeiten seid ihr in der Nachbarschaft unterwegs, bietet kleine Nachbarschaftshilfen wie Gießen, Schreddern, Briefe falten an und helft auch beim Verteilen von VIKTORI. Wie wichtig ist diese Kiezarbeit für eure Beschäftigten?
Mit ein paar Beschäftigten war ich regelmäßig im Kiez unterwegs. Sie vermissen es, rauszugehen und eine Aufgabe zu haben. Das ist das Tolle an der Kiezarbeit. Menschen, die einen hohen Unterstützungsbedarf haben, machen die Erfahrung, dass es für sie auch Aufgaben gibt, die sie übernehmen können. Es hat einen Wertschätzungseffekt. Uns fehlt der Kontakt in den Kiez sehr. Wir waren im Lesegarten und in der Bibliothek, um z.B. die Bücherregale abzustauben, um mit dem Deutsch-Polnischen Hilfswerk den Kindern vorzulesen. Wir haben auch Stolpersteine gereinigt und poliert. Diese Kiezarbeit draußen, wo Abstand halten möglich ist, wollen wir gern bald wieder aufnehmen.

Gibt es für dich Erkenntnisse aus der Krise für deine Arbeit?
Wenn die körperliche Nähe fehlt, ist es nicht einfach, bestimmte Sachen umzusetzen und auf alternative Ideen zu kommen. Ich glaube, dass wir als Team ein bisschen näher zusammengerückt sind. Ich habe auch das Gefühl, dass viele Leute aus meinem Umfeld am gleichen Strang ziehen, und das ist total schön.

Die Fragen stellte Claudia Mattern

Cooperative Mensch eG
Tagesförderstätte Kienhorststraße
Kienhorststraße 46-50
13403 Berlin
Telefon (030) 225 00 -721/-729

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.