Interview mit Verena Schulte, Sabine Weiser, Zahide Basar und Waged Alshaker vom Familienzentrum „Familienpunkt“

familienpunkt team
Das Team des Familienzentrums "Familienpunkt" (v.l.n.r.): Verena Schulte, Waged Altshaker,
Sabine Weise und Zahide Basar


Das Familienzentrum „Familienpunkt” ist eine Begegnungsstätte mit Angeboten für Eltern, Kinder und Familien unter der Trägerschaft des Kinder- und Jugendhilfe-Verbunds Berlin-Brandenburg. Zum Team gehören die Koordinatorin Verena Schulte, die Heilpädagogin Sabine Weiser und die beiden Stadtteilmütter Zahide Basar und Waged Alshaker. Gefördert wird das Familienzentrum aus dem Landesprogramm „Berliner Familienzentren“


Das Familienzentrum musste wie die Schulen und Kitas wegen Covid-19 schon Mitte März schließen. Wie ist es den Eltern und Kindern, die zu Ihnen kommen, in der darauffolgenden Zeit ergangen?
Verena Schulte: Am Anfang gab es eine große Verunsicherung, weil niemand wusste, wie sich die Infektionszahlen entwickeln. Einige Familien und Alleinerziehende haben die Situation sehr ernst genommen, sie sind strikt zuhause geblieben und haben alle Kontakte vermieden. Viele leben auf engem Raum mit mehreren Familienmitgliedern, und für die Kinder war die Situation besonders eingeschränkt. Es gab Eltern, die weiterhin Angst hatten und auch noch nicht rausgegangen sind, als die Spielplätze wieder aufgemacht haben. Manche waren verunsichert, ob sie auf den Spielplatz gehen können, weil sie ihr Kind nicht davon abhalten können, auf andere Kinder zuzulaufen. Für die Kinder, die so lange isoliert waren, ist es ja eine verrückte Situation, den 1,50m-Abstand einzuhalten. Vor allem Mütter waren doppelt oder mehrfach belastet. Wenn beide Elternteile arbeiten, waren die Mütter häufiger im Homeoffice. Sie haben sich zusätzlich um die Kitakinder gekümmert und mussten auch noch Homeschooling für die älteren Geschwister machen. Es war es eine sehr anstrengende Situation. Darüber hinaus gab es viele Familien, die näher zusammengerückt und durchaus positiv mit der Herausforderung umgegangen sind.

Die Medien haben über einen Rückschritt der Geschlechterdemokratie in der Corona-Krise berichtet. Haben Sie das auch beobachtet?
Zahide Basar: Ja, auf jeden Fall. Ich habe auch das Gefühl, dass die Mütter viel mehr belastet sind als die Väter. Sie haben den Anspruch, dass alles gut funktionieren muss. Das ist extrem anstrengend.
Sabine Weiser: Wenn Kinder ganz klein sind, bleiben die Mütter aufgrund des Stillens meist zuhause und sind sowieso noch in ihren alten Rollen. Je älter das Kind wird, desto mehr weicht das auf, und es geht gleichberechtigter zu. Meine Erfahrung ist, dass in der Krisensituation oftmals auf die altbewährte Rollenverteilung zurückgegriffen wird.

Kommen auch alleinerziehende Eltern zu Ihnen?
Schulte: Wir haben mehr mit alleinerziehenden Müttern zu tun als mit alleinerziehenden Vätern. Sie sind häufig auf die Kita angewiesen, wenn sie einem Job nachgehen. Wir hatten das Gefühl, dass viele Familien vereinsamt sind, besonders in der Anfangszeit.
Basar: Durch die Kontaktbeschränkung ging es ja nicht, das Kind mal kurz bei einer Freundin zu lassen.
Schulte: Das Kind bei Oma und Opa zu lassen, ging auch nicht. Ich glaube, viele Familien haben in dieser Zeit gemerkt, wie sehr man auf Strukturen wie Kita, Schule, Jugendcafés und öffentliche Treffs angewiesen ist, - auch, um andere Menschen zum Austausch zu treffen.

Wie haben Sie den Kontakt zu den Familien gehalten?
Schulte: Per WhatsApp, Email und Telefon. Wir haben eine Paketaktion gestartet und allen Familien einen persönlichen Brief, Bastelmaterialien und eine CD mit Kinderliedern aus unseren Gruppen geschickt.
Weiser: Die Rückmeldungen der Familien waren toll. Einmal in der Woche verschickten wir in der Corona-Zeit unseren Newsletter mit Angeboten für Familien in Reinickendorf, Bastelideen, Vorschlägen und Informationen zu unserer aktuellen Situation. Uns war es wichtig, Kontakt zu halten und die Eltern nicht alleine zu lassen. Unsere Stadtteilmütter Zahide und Waged haben während der Corona-Zeit Beratung am Telefon gemacht. Die Familien haben viele Briefe bekommen, die sie nicht verstanden haben.
Basar: Die Familien haben Fotos der Briefe geschickt, und wir haben versucht, die Briefe in ihre Muttersprachen Kurdisch, Türkisch oder Arabisch zu übersetzen.

War der Beratungsbedarf denn höher als sonst?
Schulte: Ja, der hohe Beratungsbedarf, der in der Zeit entstanden ist, konnte auch nicht gedeckt werden. Wir merken das bis jetzt. Teilweise kommen Familien mit großen Stapeln an Briefen, die sich angesammelt haben. Das Unterstützungssystem war in der Corona-Zeit einfach weggebrochen.
Weiser: Wir haben derzeit mehr Beratung als Gruppen. In den Gruppen ist gar nicht so viel los wie sonst. Auch Trennungsberatung haben wir mehrfach.

Trennungsberatung gehört also auch zu ihrem Angebot?
Schulte: Es ist kein Hauptthema von uns. Das ist natürlich eine sehr intensive Situation, wenn man zuhause als Kleinfamilie mit zwei Elternteilen und Kind auf engstem Raum zusammen ist und es vorher vielleicht sowieso schon schwelende Konflikte gab. Wir können keine rechtliche Beratung anbieten, sondern vermitteln an kostenlose Beratungsstellen für Frauen, z.B. zum Thema Familienrecht. Wir sagen den Familien auch, auf das Kind und seine Situation zu schauen. Bei einer Trennung ist es wichtig, dass auch das Kind gut durch die Zeit kommt und nicht zu viel von Konfliktsituationen mitbekommt.
Weiser: Ich glaube, dass die Krise in so einem Fall vorher schon da war. Die Corona-Krise führt dazu, dass sich Probleme verstärken.
Basar: Es gab Familien in der Beratung, die gesagt haben: Wann geht es endlich wieder mit der Arbeit los? Wann können wir wieder zu euch kommen? Sonst lassen wir uns scheiden. Es geht einfach nicht in einer kleinen Wohnung. Andere haben gesagt, es hat richtig gutgetan, Zeit zum Reden zu haben, ohne diesen Arbeits-, Schul- und Kitastress.

Wie viele Personen kommen normalerweise ins Familienzentrum?
Schulte: Mit unserem Newsletter erreichen wir 60 Familien. Viele Familien kommen aus dem direkten Umfeld, teilweise kommen sie auch von weiter weg. Wir haben verschiedene Angebote, die ab fünf Familien starten, z.B. für eine Krabbelgruppe. Unser größtes Angebot ist das Familiencafé mit bis zu 40 Personen in unseren Räumen, je nach Jahreszeit.
Weiser: Die meisten Familien sind im Herbst und Winter hier. Wir freuen uns sehr, wenn unsere Räume genutzt werden!
Schulte: Wir freuen uns ganz besonders darüber, wenn die Familien sich vernetzen und neue Freunde finden. Das zeigt, dass das hier ein Ort ist, wo sie Themen ansprechen und sich mit anderen Eltern besprechen können.
Basar: Es kommen Familien aus dem Wedding, aus Wittenau, Tegel und Heiligensee. Der Austausch zu Themen wie beispielsweise Kindererziehung, Kitas, Kinderärzte ist für viele Eltern sehr wichtig.
Weiser: Es kommen auch hinzugezogene Familien zu uns, deren Familie ganz weit weg lebt. Sie kennen kaum jemanden hier und sagen, das Familienzentrum ist Familienersatz für sie, weil es so klein und familiär ist. Das hat mich total gerührt. Manchmal gefällt es Familien so gut, dass sie fast jeden Tag kommen.

Gibt es außer dem Familiencafé noch ein besonders beliebtes Angebot?
Weiser: Zahide bietet einen Kochkurs an, bei dem die Familien Rezepte aus ihren Kulturen mitbringen. Wir haben oft erlebt, dass sie ganz glücklich sind, wenn sie über das Kochen ein Dankeschön zurückgeben können. Es ist total schön, wenn Menschen aus verschiedenen Kulturen hier gemeinsam kochen und essen. Am Tisch sitzen dann bis zu 20 Personen. In den Ferien kommen manchmal auch schulpflichtige Geschwisterkinder und helfen mit. Auch das gemeinsame Frühstück bei der Krabbelgruppe und das Frauenfrühstück fehlen uns. Das gemeinsame Essen verbindet alle Kulturen und bringt die Menschen miteinander ins Gespräch. Das Frauenfrühstück war ein Wunsch der Frauen, den Zahide realisiert hat.
Schulte: Die gemeinsamen Koch- und Essenssituationen bieten einen idealen Rahmen, um sich in ungezwungener Atmosphäre auszutauschen. Das Essen ist ein sehr verbindendes Element unserer Arbeit. Jede Familie kocht ja verschieden. Was sind Standardessen, wie kocht man es, was isst man gerne? Das ist immer ein gutes Einstiegsthema. Wenn sich die Familien etwas besser kennen, tauschen sie sich auch über familiäre Themen aus.
Normalerweise stehen beim Familiencafé auch immer Kaffee, Tee, Wasser und Obst- und Gemüsesnacks bereit. Gerade dürfen wir aber auch nicht verköstigen.

Welche Erkenntnisse aus der Krise haben Sie für Ihre Arbeit mit Familien gezogen?
Schulte: Durch die Corona-Zeit haben wir gemerkt, welche Wertschätzung uns von den Familien entgegengebracht wird, wie wichtig unsere Arbeit ist und wie groß die Bedarfe nach Beratung, Begegnung und Austausch sind. Das ist zu jeder Zeit unser Ziel: einen offenen Ort der Begegnung für alle Familien unabhängig von Sprache, Kultur und Herkunft zu schaffen, der für die Familien eine Bedeutung hat.
Basar: Bei Telefonaten haben die Familien auch gefragt: Wie geht es euch, seid ihr gesund? Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass sie sich auch Gedanken um uns gemacht haben.
Weiser: Uns haben die Familien auch sehr gefehlt. Ein Familienzentrum ohne Familien ist schon traurig. Der Beratungsbedarf nach der Schließzeit war erhöht, heikle Themen bespricht man nicht am Telefon. Die Familien fühlen sich wohl und aufgehoben mit ihren Themen und wissen, dass sie hier in einem geschützten Rahmen erzählen können.

Viele Einrichtungen haben ihre Angebote in den digitalen Raum verlegt. Funktioniert das auch als Familienzentrum?
Schulte: Wir haben von anderen Familienzentren gehört, die teilweise Krabbelgruppen oder Singen über die digitalen Medien durchgeführt haben. Wir hatten das Gefühl, die Familien haben genug von digitalen Ersatzangeboten, auch beim Homeschooling, und der Bedarf besteht nach dem realen Kontakt in Person. Besonders für die kleineren Kinder, die die Atmosphäre brauchen, ist das nicht das gleiche.
Weiser: Zumal die Familien ja vielleicht nur einen Laptop und nicht so viele Räume haben. Das ist sowieso schon ein Organisationsaufwand. Wer geht wann an den Computer, wie teilt man die Räume auf? Es ist schon schöner, wenn man hier zusammensitzt.

Wann und wie geht es im Familienzentrum weiter?
Schulte: Nach der neuen Senatsverordnung dürfen wir jetzt wieder begrenzt offene Angebote ohne Anmeldung durchführen und können wieder spontaner und offener reagieren. Vorher durften wir nur geschlossene Kurse mit einer begrenzten Teilnehmerzahl durchführen, nach den bestehenden Hygienevorschriften und Abstandsregeln. Das ist ein starker Kontrast ist zu den Angeboten vorher. Ein Familienzentrum lebt davon, eine offene Tür zu haben.

Planen Sie auch Angebote draußen?
Weiser: Im Rosengarten wird eine Familienwiese entstehen, die wir mit verschiedenen Akteuren bespielen wollen. Das Grünflächenamt wird sich darum kümmern, dass es dort sauber ist und dass gemäht wird. Wir haben in den ersten drei Sommerferienwochen geöffnet und wollen mit unserem Lastenfahrrad und Flyern jeden Mittwoch auf das Familienzentrum aufmerksam machen.
Schulte: Das Familiencafé findet im Sommer draußen auf den Grünflächen statt, häufig in Kooperation mit dem Spielmobil des CVJM. So erreichen wir auch neue Familien im Kiez, die noch nichts von uns und unseren Angeboten erfahren haben.

Die Fragen stellte Claudia Mattern

Familienzentrum Familienpunkt
Zobeltitzstraße 72
13403 Berlin
Tel. 030/4193 9049
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Das Projekt „Gemeinsam im Park“ wird mit Mitteln des Quartiersmanagements Auguste-Viktoria-Allee aus dem Programm Soziale Stadt finanziert.

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