Interview mit Felicitas Redel von Freunde alter Menschen e.V.

Felicitas Redel koordiniert den Nachbarschaftstreffpunkt Reinickendorf des Vereins „Freunde alter Menschen“ in der Scharnweberstraße. Der Verein organisiert „Besuchspartnerschaften“ mit Unterstützung von Freiwilligen, um der Einsamkeit und Isolation von älteren Menschen zu begegnen.


Frau Redel, die „Freunde alter Menschen“ kümmern sich um einsame ältere Menschen. Wie ist es Ihrer Klientel seit dem Lockdown im März ergangen?
Wir haben verschiedene Reaktionen. Zum einen die, die ihren Alltag weiterhin so gestalten, wie bisher und zum anderen die, die sagen, mir fehlen mein*e Besuchspartner*in oder die Veranstaltungen sehr, kurz gesagt: die Kontakte durch „Freunde alter Menschen“ - und die Einsamkeit wird immer größer. Uns jungen Menschen geht es ja auch so. Wir sagen, ein paar Wochen kann man das mitmachen, aber irgendwann braucht man wieder die menschlichen Kontakte. Wir hatten letzte Woche eine Blumenaktion, um wieder den persönlichen Kontakt zu unseren alten Freunden herzustellen. Wir haben mit Abstand und Mundschutz im Hausflur Blumen überreicht und haben mit den alten Freunden gesprochen. Wirklich viele haben gesagt, die Decke kommt immer näher. Das war der Grundtenor: Jetzt habe ich wirklich die Nase voll. Es kann wieder weitergehen, ich möchte wieder Kontakt.

Wie haben Sie zu den älteren Menschen Kontakt gehalten?
Über das Telefon und über Briefe. Bei unseren „Besuchspartnerschaften“ besuchen die Freiwilligen normalerweise die alten Freunde. Sie haben ihre Besuche eingestellt und stattdessen die alten Freunde angerufen und ihnen Briefe geschrieben. Wir haben gleich am Anfang eine Bedarfsaufnahme gemacht und alle gefragt, ob sie beispielsweise Hilfe beim Einkauf brauchen. Einige haben gesagt, sie möchten gern angerufen werden. Wir haben daraufhin viele in „Besuch per Telefon“ durch Freiwillige vermittelt. Außerdem haben wir Telefonketten organisiert, damit die alten Freunde, die sich von unseren Veranstaltungen kennen, untereinander im Kontakt bleiben. Sie rufen sich einmal am Tag von Montag bis Freitag kurz an und geben einen Mut-Mach-Gedanken weiter, beispielsweise „Humor ist eines der besten Kleidungsstücke, die man in Gesellschaft tragen kann“ (William Shakespeare). Diese Mut-Mach-Gedanken suchen wir vorher für sie raus, damit sie auf andere Gedanken kommen und hin und wieder auch darüber lächeln müssen. Darüber hinaus schreiben wir unseren alten Freunden alle 14 Tage einen Mut-Mach-Brief mit einem Gedicht, einer Geschichte oder einem Rezept. Auch die bereits genannte Blumenaktion war ein Besuch, um den Kontakt zu halten. Die Reaktionen auf unsere Arbeit bestärken uns:
„Was Sie alles für uns machen, die Briefe und jetzt der Blumengruß… da merke ich, dass Sie mich nicht vergessen haben!“ Jutta (79 Jahre)
„Das sind meine Lieblingsblumen!! Vielen, vielen Dank. Die Einsamkeit macht einen ganz schön krank. Schön, dass wir uns jetzt mal gesehen haben!“ Anita (77 Jahre)
„Ich freue mich immer, wenn ich Post von Ihnen bekomme, das ist eine nette Abwechslung in diesen Tagen.“ Irmgard (94 Jahre)

Verschicken Sie nur in der Corona-Zeit Mut-Mach-Briefe?
Ja. Normalerweise schreiben wir einmal im Monat einen Brief, um die nächsten Veranstaltungen zu kommunizieren. Das haben wir jetzt auf die 14tägigen Mut-Mach-Briefe umgestellt.

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Digitale Kommunikation findet also eher nicht statt?
Es gibt drei Personen, die die Mut-Mach-Gedanken täglich per WhatsApp bekommen und ein paar, die sie per Email bekommen. Die meisten bekommen sie per Brief und Telefon. Diejenigen älteren Damen und Herren, die ein Handy haben, haben ein altes und kein Smartphone. Auch können wir unsere Veranstaltungen und Kontakte nicht weiterhin per Zoom oder Skype anbieten, da nur vereinzelte alte Freunde einen Computer haben. Da kommen wir mit unseren Angeboten tatsächlich an unsere Grenzen.

Sie sagten, während der Kontaktbeschränkungen war Einsamkeit ein zentrales Thema bei älteren alleinlebenden Menschen. Wurden noch andere Themen benannt?
Es sind ja immer Einzelschicksale. Eine Dame konnte ihren Lebenspartner, der im Krankenhaus im Sterben lag, nicht mehr besuchen. Eine Andere war in dieser Zeit zur Reha und fühlte sich dort durch die Schutzmaßnahmen wie im Gefängnis. Wieder ein Anderer ist eigentlich sehr viel unterwegs und konnte mit der vielen freien Zeit erst einmal nichts anfangen, später wurde es von ihm aber als angenehm und entlastend empfunden.
Ich könnte daher nicht sagen, dass die Älteren beispielsweise überwiegend Angst hatten. Viele unserer alten Freunde sagen, ich bin schon alt, ich habe mein Leben gelebt, was soll ich eigentlich noch hier? Ich habe einen Krieg erlebt, ich habe Hunger und viele Krisen erlebt, ich will jetzt nicht noch ein Virus erleben. Sie sagen, mein Gott, was müssen wir noch alles ertragen? Was kommt noch alles? Jetzt gehen sie einkaufen - und das Klopapier ist alle. Das verwundert sie, warum ausgerechnet Klopapier! Für jemanden, der Hunger erlebt hat, ist das unverständlich. Das hat sich jetzt ja alles beruhigt, aber es waren Themen, bei denen sie teilweise den Kopf geschüttelt haben.

Inzwischen erlaubt der Senat unter Einhaltung der Hygieneregeln und des Mindestabstands wieder ehrenamtliches Engagement. Finden bei Ihnen auch schon wieder reale „Besuchspartnerschaften“ statt?
Ja, wir versuchen jetzt, neue Wege zu eröffnen. Wir stellen es unseren Besuchspartnern natürlich frei, was sie sich zutrauen. Man darf nicht vergessen, dass unsere Klientel die Risikogruppe Nummer 1 ist. Natürlich gibt es Ältere, die rausgehen und mit denen man sich draußen treffen und einen Spaziergang machen kann. Bei denjenigen, die besonders gefährdet sind oder keinen Besuch wollen, bleibt es beim „Besuch per Telefon“.

In den Medien wurde immer wieder zur Nachbarschaftshilfe in der Corona-Zeit aufgerufen. Haben die alten Freunde davon erzählt, haben ihnen ihre Nachbar*innen Hilfe angeboten?
In den Gesprächen hören wir immer wieder, dass Nachbarn geklingelt und gefragt haben, ob sie etwas brauchen. Ich glaube, dass die Nachbarschaft im Kiez ganz gut funktioniert.
Eine sehr schöne Aktion aus der Nachbarschaft kam auch von Schülern der Max-Beckmann-Oberschule, die im letzten Jahr bei uns verschiedene Angebote gemacht hatten, den Handy-Führerschein beispielsweise. Als die Schule wieder losging, haben sich die Schüler Gedanken gemacht, wie es den Älteren wohl geht. Sie haben sehr nette Briefe an unsere alten Freunde geschrieben, mit Fotos aus ihrem Zimmerfenster: Das sehe ich, wenn ich aus meinem Zimmer schaue. Das war sehr süß. Es gibt in dieser Zeit sehr viel Engagement von Menschen, die sagen, gerade jetzt muss Einsamkeit furchtbar sein, was können wir tun? Wir hatten auch viele Freiwillige, die gleich am Anfang angeboten haben, für Ältere einkaufen zu gehen.

Ich habe neulich zum ersten Mal von Balkonbesuchen gehört. Machen das Ihre Freiwilligen auch?
Ja, Balkonbesuche ist schön formuliert, genau das trifft es. Ein Freiwilliger war mit seiner Freundin unterwegs und hat gesagt, hier wohnt doch Frau Soundso, wollen wir nicht einfach mal klingeln und von unten winken? Ich wollte auch eine Besuchspartnerschaft vermitteln, dann kam Corona dazwischen. Die beiden Damen telefonieren zurzeit, aber haben sich noch nie gesehen. Das war für die beiden total schräg. Die jüngere Dame hat der älteren vorgeschlagen, ich wohne um die Ecke, ich klingle mal und dann winken Sie vom Balkon runter. Jetzt haben sie sich wenigstens mal gesehen.

Wie geht es bei Ihnen im Verein weiter? Haben Sie schon Pläne?
Veranstaltungen sind erst mal nicht geplant, das wird noch dauern. Wir planen, die Besuchspartnerschaften und den persönlichen Kontakt zu den alten Freunden wieder zu beleben. Deshalb möchten wir unsere Freiwilligen stark machen, dass sie geschützt eine Besuchspartnerschaft übernehmen, im Rahmen dessen, was erlaubt ist und was sich die Freiwilligen und die alten Freunde zutrauen. Wir sind auch gerade dabei, draußen Freiwillige kennenzulernen und Vermittlungen durchzuführen.

Das heißt, Sie suchen Freiwillige für die Besuchspartnerschaften?
Ja! Wer sich ehrenamtlich engagieren möchte, kann sich gerne bei uns melden.

Die Fragen stellte Claudia Mattern

Freunde alter Menschen e.V.
Nachbarschaftstreffpunkt Reinickendorf
Scharnweberstraße 53
13405 Berlin
Telefon: 030-67 96 53 73
www.famev.de

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