Interview mit Jasmin Azar von kein Abseits! e.V.

Jasmin Azar koordiniert das 1:1 Mentoring-Programm von kein Abseits!, das einheimische und neu angekommene Kinder und Jugendliche bei der Entdeckung ihrer Interessen und Potentiale unterstützt. Der Berliner Verein führt u.a. das Projekt „Freizeit- und Bewegungsangebote für Kinder“ in verschiedenen Einrichtungen im AVA-Kiez durch.

jasmin azar web

Jasmin, wie habt ihr in den letzten acht Wochen eure Angebote angepasst?
Wir sind wie alle anderen Einrichtungen in den digitalen Raum umgezogen. Bei unserem Mentoring-Programm bringen wir ehrenamtlich Engagierte mit Grundschulkindern zusammen, die gemeinsam einmal die Woche ihre Freizeit gestalten. Neue Tandems haben sich in den letzten Wochen nicht kennengelernt, aber zum Glück hatten wir, kurz bevor es mit Corona losging, noch ein schönes Startfest mit neuen Tandems. Also haben wir unsere bestehenden Tandems bestmöglich darin unterstützt, trotzdem in Kontakt zu bleiben, obwohl sie sich nicht live sehen können. Wir stellen unseren Mentor*innen einen „Aktivitätenkoffer“ zur Verfügung, um in Berlin gemeinsam spannende Dinge zu erleben. Das ist eine Sammlung von verschiedenen Aktivitäten und Ideen, die man gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen umsetzen kann. Diesen Aktivitätenkoffer haben wir um digitale Angebote erweitert, so dass das Tandem beispielsweise zusammen Online-Spiele machen oder sich auf einer Lernplattform treffen kann. Man kann auch mit seinem*r Mentor*in online gemeinsam backen oder Stadt-Land-Fluss spielen. Im Aktivitätenkoffer gibt es jetzt auch Ideen für Aktivitäten, die man alleine oder mit der Familie zuhause machen kann. Die Tandems hatten den Wunsch, sich weiter regelmäßig zu hören, und die meisten sind auf Videocalls über herkömmliche Messenger oder andere Plattformen umgestiegen. Da kamen tolle kreative Ideen zusammen, was man gemeinsam zusammen machen kann. Wir haben alles gesammelt, um es weiterverbreiten können. Einige Mentor*innen haben kleine Pakete für ihre Mentees mit Büchern und Spielzeug zusammengestellt, damit sie mit ihren Geschwistern spielen können und sich nicht langweilen.
Zusätzlich haben wir zu Beginn der Corona-Zeit das „kein Abseits!-TV“ ins Leben gerufen. Wir haben viele tolle Ideen, die wir mit dem „Spiele-Star“ normalerweise an die Kinder herantragen, in Videos zur Verfügung gestellt. Daraus ist mittlerweile ein buntes Programm geworden, von gemeinsamen Sportangeboten über Basteln bis „Wir pflanzen gemeinsam Tomaten“. Mein Kollege Florian hat aus verschiedenen Büchern vorgelesen. Wir hatten schon ein Live-Stream, bei dem gemeinsam Musik gemacht wurde. Am Anfang haben wir über 100 „Bags of Joy“ zusammengestellt, kleine Taschen mit Bastelmaterialien, die wir an die Unterkünfte verteilt haben. Im Zuge dessen haben wir auf „kein Abseits!-TV“ Videos eingestellt, die zeigen, was die Kinder aus den Bastelmaterialien machen können, beispielsweise Luftballons, die zu Libellen werden. Das hat sich total gut entwickelt. Momentan posten wir jeden Tag ein Video auf Instagram, das auf Facebook geteilt wird und auf unserem YouTube-Kanal ist. Da kann man sich inspirieren lassen, was man in der Corona-Zeit zuhause machen kann.

Wie waren die letzten Wochen denn für die Kinder - ohne Schule und ohne ihre Freunde? Wie sind sie mit den vielen Einschränkungen zurechtgekommen?
Die Kinder, mit denen ich intensiveren Kontakt hatte, haben schnell den Ernst der Lage erkannt. Der Grundtenor war, dass sie verstanden haben, dass es eine belastende und herausfordernde Situation für die Familien ist. Die meisten Kinder haben es sehr verständnisvoll aufgenommen, dass sie erst mal ihre Freunde nicht treffen und nicht in die Schule gehen können. Alle wissen, dass sie im gleichen Boot sitzen. Es ist nicht so, dass alle anderen Spaß haben und ich selber habe Hausarrest, sondern es geht allen so. Das macht viel aus.
Soweit wir es mitbekommen haben, geht es den Kindern den Umständen entsprechend gut. Trotzdem ist es für die Familien eine wahnsinnige Herausforderung. Wir arbeiten mit Familien, die nicht viel Wohnraum haben und wirklich aufeinandersitzen. Ich habe mit Familien aus unserem Mentoring-Programm gesprochen, bei denen die Angst der Eltern vor dem Virus so groß war, dass sie ihre Kinder wochenlang nicht vor die Tür gelassen haben. Die Kinder waren drei bis vier Wochen kein einziges Mal draußen an der frischen Luft. Das sind natürlich Situationen, die sehr belastend und nicht gesund sind.
Mit unseren Ehrenamtlichen haben wir einen regen Austausch und treffen uns normalerweise alle sechs Wochen als Gruppe. Bei unseren Gruppentreffen im digitalen Raum kamen sie darauf zu sprechen: Wie geht die Familie eures Mentees mit den Ausgangsbeschränkungen um? Wie kann man die Eltern dazu motivieren, auch andere Informationen einzuholen? In unserem Aktivitätenkoffer gibt es einen Reiter „Informationen in Fremdsprachen für Eltern zu Corona“. Wir haben den Mentor*innen ans Herz gelegt, die Informationen mit den Eltern zu teilen. Die Mentor*innen stehen in engem Kontakt mit den Kindern, und es ist ja eine Sache des Vertrauens. Man kann den Eltern vielleicht ein bisschen die Sorge nehmen, dass nicht alle Nachrichten aus ihren WhatsApp-Gruppen die ganze Wahrheit sind. Vielleicht sind es Missverständnisse oder Falschinformationen, die dort weitergetragen werden. Wenn uns so etwas zu Ohren kommt, sehen wir uns in der Verantwortung, dass die Eltern alle wichtigen Informationen bekommen. Sie sollen sehen können, dass ihre Angst teilweise vielleicht unbegründet ist.

Was weißt du über das Homeschooling? Funktioniert das, wenn der Wohnraum der Familien so beengt ist?
Homeschooling ist für viele der Kinder und Familien eine große Herausforderung. Ich bin begeistert, weil ich von vielen Mentor*innen die Rückmeldung bekommen habe, dass die meisten Kinder sehr gerne ihre Hausaufgaben machen. Wenn die Hausaufgaben bei den Familien auch landen! Die meisten Kinder haben viel Lust darauf und sind sehr gewissenhaft. Aber was macht man, wenn man etwas nicht versteht? Meistens sind die Eltern sehr beschäftigt, weil noch andere Geschwister da sind. Vielleicht arbeiten sie, sprechen die Sprache nicht oder wissen selber nicht, worum es geht. Deswegen haben wir schon Anfragen bekommen, ob wir auch Online-Nachhilfe vermitteln können und haben einzelne Engagierte aus unserem Verein an Familien vermittelt. Viele Kinder haben aber maximal ein Handy oder teilen sich das Handy mit mehreren Familienmitgliedern. Da wird es natürlich sehr spannend, wenn man beispielsweise Mathe-Hausaufgaben am Handy machen möchte und daneben noch drei Geschwisterkinder sitzen.
Bei uns kamen viele Anfragen von Eltern an, die besorgt sind, ob ihre Kinder in die nächste Klasse kommen oder ob sie wiederholen müssen. Von Seiten der Schulen sind noch nicht viele Informationen an die Eltern herangetragen wurden. Ich weiß nicht, wie es z.B. ist, wenn ein Kind vorher Förderunterricht hatte, aber derzeit keine Förderung erhält.

Es waren ja nicht nur die Schulen geschlossen, auch die meisten Sprachkurse haben pausiert. Weißt du etwas über die Auswirkungen?
Die Mentor*innen erzählen mir von der Abnahme der Sprachkenntnisse, weil die Familien sich nur noch in ihren Muttersprachen unterhalten und der Austausch mit Anderssprachigen in der Schule und mit Freunden wegfällt. Bei Familien, die noch nicht lange hier sind, sinkt das Sprachniveau wieder, weil sie keine Übung haben. Das bemerken die Eltern auch, und es macht ihnen Sorgen. Sie fragen uns, was sie machen sollen und wir versuchen, sie zu unterstützen. Aber es sind strukturelle Probleme. Wir können leider nicht jedes einzelne Familienmitglied begleiten und verweisen auf Angebote wie Online-Hausaufgabenhilfe.

Wie werden denn die Familien in den Unterkünften derzeit unterstützt?
Das Unterstützer*innen-Netzwerk fällt weg oder ist sehr eingeschränkt, viele Familien sind verunsichert. Wir von kein Abseits! sind Teil des Netzwerks Berliner Kinderpatenschaften und haben uns dazu mit anderen Organisationen ausgetauscht. Sie berichten das gleiche: Der Beratungsbedarf bei den Familien ist gestiegen, und sie wenden sich an uns, weil wir durch die Vermittlung von Patenschaften in gutem Kontakt sind. Auch an unsere Mentor*innen werden Fragen und Unterstützungsbedarfe herangetragen.

Seit dem 11. Mai dürfen wieder schrittweise die Einrichtungen öffnen. Wann geht es bei euch weiter?
Wir haben keine eigenen Räumlichkeiten für Gruppenangebote, sondern führen alle Aktivitäten draußen durch. Natürlich möchten wir so bald wie möglich wieder mit Aktivitäten für Kinder starten. Nach Pfingsten wollen wir peu à peu anfangen, wieder mit unserem „Spiele-Star“ zu den Unterkünften zu fahren. Alle Einrichtungen müssen einen Hygieneplan erstellen, damit sichergestellt ist, dass die Abstandsregeln eingehalten werden. Gerade sind wir dabei, ein Konzept zu erstellen. Der Senat hat auch beschlossen, dass es unter Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln wieder möglich ist, sich im Rahmen eines ehrenamtlichen Engagements mit Kindern oder Familien zu treffen. Das ist sehr schön. Ab Ende Juni wollen wir - natürlich unter Berücksichtigung aller geltenden Auflagen - auch wieder neue Tandems matchen.

Die Fragen stellte Claudia Mattern

kein Abseits! e.V.
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Das Projekt „Freizeit- und Bewegungsangebote für Kinder“ wird mit Mitteln des Quartiersmanagements Auguste-Viktoria-Allee aus dem Programm „Soziale Stadt“ finanziert.

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